Auslegung des V-Leitwerks

Veröffentlicht am 29.01.2020 von FVA

Zur Sicherstellung der flugmechanischen Stabilität und Steuerbarkeit der FVA-30 bedarf es eines angepassten Leitwerks und entsprechend dimensionierter Ruderflächen. Im vergangenen Jahr wurden in Abstimmung mit dem LBA aufgrund der Zweimotorigkeit der FVA-30 Konformität mit Teilen der Zulassungsvorschrift CS-23 erarbeitet. Die neuen Anforderungen geben zusammen mit präziseren flugmechanischen Beiwerten und geänderten Schwerpunktabschätzungen den Ausschlag zu einer erneuten Auslegungsrechnungen für das V-Leitwerk.

In der folgenden flugmechanischen Auslegung wird das V-Leitwerk anhand kritischer Auslegungsfälle der Längs- und Seitensteuerbarkeit dimensioniert und für alle kritischen Flugfälle, die sich aus den Zulassungsvorschriften CS-22 und CS-23 ergeben über ein flugdynamisches Berechnungsprogramm validiert. Die untenstehende Abbildung gibt einen Überblick über den prinzipiellen Aufbau unseres Flugmechanik-Rechners.

Aufbau des Flugmechanik-Rechners mit analytischer Auslegung und numerischer Prüfung der Flugfallliste

Analytische Auslegung: Grundsätzlich wurde das Leitwerk zunächst durch eine analytische, flugmechanische Analyse anhand dimensionierender Flugzustände ausgelegt (d.h. durch Betrachtung des Momentenhaushalts unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Einflussfaktoren). Für die Ruder wurde jeweils ein für Seiten- und Höhensteuerung nötige Maximalausschlag (z.B. symmetrisch +/- 10°, antimetrisch +/- 15°, überlagerbar) und damit auch ein zusammengesetzter Maximalausschlag von 25° festgelegt.

Numerische Nachrechnung: Anschließend wurde die Gesamtkonfiguration numerisch (in AVL) für viele verschiedene, zu erwartende Flugzustände (einschließlich solche aus der Zulassungsvorschrift CS-22) nachgerechnet. Dabei dürfen dann die vorher festgelegten Maximalruderausschläge, einschließlich eines Sicherheitspuffers für Nichtlinearitäten, nicht überschritten werden. Die durch den Motorenschub erzeugten Nick- und Giermomente werden über Trimmbedingungen eingeschlossen. Sekundäre Effekte, wie Erhöhung des Staudrucks durch Zusatzanblasung (Propeller) oder Propellerstrahleinschnürung wurden hier jedoch nicht berücksichtigt.

Es wurden für die Längsbewegung folgender kritischer Flugzustand & Stabilitätsforderungen als dimensionierend für das Leitwerk gesetzt:

  1. Durchstart (max. Schub) bei VS0 (Landung), d.h. das Höhenleitwerk muss maximalen Abtrieb erzeugen
  2. Stabilitätsforderung negativer Momentenanstieg (Cmα < 0)
  3. Stabilitätsforderung positives Nullmoment (Cmα > 0)

Für die Seitenbewegung stellte sich der folgende kritische Flugzustand als dimensionierend heraus:

Nach CS-23.147: Max. Schiebeflug bei zusätzlichem einseitigen Motorausfall bei 1.4*VS1 (VS1: Reiseflug Minimalgeschwindigkeit), während der verbleibende Antrieb vollen Schub liefert (bei pos. Schiebewinkeln wäre für den erforderlichen Ruderausschlag bspw. der Ausfall des linken Antriebs (in Flugrichtung schauend) kritisch).

Die sich ergebenden maximalen Forderungen für die Leitwerksfläche von einem dem V-Leitwerk äquivalenten Höhen- und Seitenleitwerk werden dann nach der vereinfachten V-Leitwerkstheorie in ein entsprechendes V-Leitwerk überführt.

Analytische Auslegung

Näherung für den Neutralpunkt: Der Neutralpunkt variiert mit den Ausschlag der Wölbklappen und der Auftriebsverteilung. Das bedeutet, dass schlussendlich erst die numerische Berechnung Aufschluss über die Stabilitätsreserve der Längsbewegung geben wird. Zur analytischen Auslegung des Leitwerks kann jedoch eine konservative Näherung genutzt werden. Der Neutralpunkt kann über die Betrachtung des Mean Aerodynamic Chord (MAC) berechnet werden. Für die FVA-30 wurde hierzu mithilfe des Programms getMAC der Public Domain Aeronautical Software (PDAS) der MAC und die Neutralpunktlage berechnet.

Maximal anzunehmende Ruderausschläge: Beim verwendeten Profil und einer Rudertiefe von 35 % nimmt die Ruderwirksamkeit für große Ruderwinkel jenseits von 25° stark ab, sodass effektiv keine Mehrauftrieb, sondern hauptsächlich Widerstand erzeugt wird. Das von uns gewählte Leitwerksprofil (FX 71-L-150/30) zeigt hierbei ab ca. 25° Klappenwinkel bei 35% Rudertiefe erste größere Abweichungen von der theoretisch zur Leitwerksauslegung angenommenen Ruderwirksamkeit. Bei einem V-Leitwerk werden sowohl die Gierbewegung über antimetrische und die Nickbewegung über symmetrische Steuerausschläge der beiden Ruder gesteuert. Durch die vorher genannte Saturierung sollten die beiden Steuereingaben kombiniert nicht jenen Ruderwinkel überschreiten, ab dem die als konstant angenommene Ruderwirksamkeit nicht mehr haltbar ist. Werden diese Winkel dennoch überschritten, so muss mit einem entsprechend vergrößerter Ruderausschlag zur Kompensation der Nichtlinearität gerechnet werden. Dabei muss unterschieden werden, ob der lokale Auftriebsbeiwert, ab dem die Nichtlinearität eintritt, überschritten wird oder ob durch die Anströmbedingungen (z.B. Schiebeflug in der Seitenbewegung) die Änderung des Nullauftriebswinkels und weniger der lokale Auftrieb am Leitwerk im Vordergrund steht.

Die aus der analytischen Betrachtung resultierende Leitwerksgeometrie und deren flugmechanische Parameter wurden schließlich im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung mit denen vom e-Genius verglichen. Insgesamt ist das neu ausgelegte Leitwerk aus flugmechanischer Sicht dem e-Genius sehr ähnlich.

Numerische Prüfung aller kritischen Flugzustände

Zur einfachen Überprüfung verschiedener Flugfälle bzw. Flugzustände bringt AVL die Funktionalität der “Run Cases” mit sich. Es handelt sich dabei um eine Textdatei wie in der pro Flugzustand alle Zustandsgrößen und Trimmbedingungen definiert werden (vgl. Abbildung unten).

Beispiel für den Flugzustand ”Durchstarten beim Landeanflug, vorderster Schwerpunkt mit max. Schub”

Zur Eingabe der Massen biete AVL ebenfalls die Möglichkeit, die Massen und Trägheiten als Textdatei einzupflegen. Auf ein Beispiel sei an dieser Stelle verzichtet. Aus der Summe der Einzelschwerpunkte ergibt sich dann eine Gesamtmasse, der Schwerpunkt sowie der Trägheitstensor. Damit sind nun auch Berechnungen zur dynamischen Stabilität möglich. Wird eine Rechnung in AVL durchgeführt, so lassen sich die Ergebnisse graphisch innerhalb des Programms in der Trefftz-Ebene (zur Visualisierung von Auftriebsverteilungen geeignet, vgl. erste Abbildung unten) oder als Textdatei ausgeben. Außerdem lassen sich qualitativ die Auftriebsverteilung dreidimensional am Flugzeug darstellen (vgl. zweite Abbildung unten).

Auftriebsverteilung in der Trefftz-Ebene für den Flugzustand ”Durchstarten beim Landeanflug, vorderster Schwerpunkt mit max. Schub”

AVL Geometrie-Ansicht mit Auftriebsverteilungen für den Flugzustand “Durchstarten beim Landeanflug, vorderster Schwerpunkt mit max. Schub”, Rumpf als ebene Platte angenähert (Kreuzrumpf)

Ergebnisse der Berechnung kritischer Flugzustände in der Längs- und Seitenbewegung

In der folgenden Tabelle sind die notwendigen Ruderausschläge aufgeführt, die zum Ersteuern der jeweiligen kritischen Flugzustände in der Längs- und Seitenbewegung notwendig sind.

Übersicht über die Ergebnisse der AVL Nachrechnung: Erforderliche Ruderausschläge und der Neutralpunkt für die Auslegungsfälle in der Längs- und Seitenbewegung

Es ist bemerkenswert, dass die numerisch bestimmten Ruderausschläge in der Längsbewegung, welche die sicherheitskritischeren Anforderungen stellt, so nah an den analytisch berechneten Ruderausschlägen liegen. Es ergibt sich im vgl. zum Auslegungsfall 01-Lo-PL-GA-VS0-CGFPM lediglich eine Abweichung von 1,1% zur sicheren Seite. In der Seitenbewegung existiert aufgrund der schlechteren Kondition des Problems eine größere Abweichung von 9,4%. Abgesehen davon befindet sich die statische Stabilitätsreserve bis auf den Schnellflugfall 04.2-Lo-CS22.161-TR-2.0VS1-CGH-PW oberhalb von 5%. Da der Rumpfeinfluss auf den Flugzeugneutralpunkt mit der Methode des Kreuzrumpfs überschätzt wird, kann eine noch größere Stabilitätsreserve erwartete werden. Für den Schnellflugfall muss im Rahmen der Flugerprobung eventuell eine Schwerpunktsbegrenzung der rückwärtigsten Lage erfolgen.

Da ab einem Auftrieb von cA ≈ 0.65 die Ruderwirksamkeit abnimmt bzw. der Auftriebsanstieg infolge des Ruderausschlags einen Sprung aufweist, der in AVL nicht abgebildet wird, muss im Einzelfall zwischen dem geometrischen Ruderausschlag und dem in AVL berechneten effektiven Ruderausschlag unterschieden werden. Dabei ist entscheidend, ob es sich um ein Nullauftriebswinkel-Flugfall cA;Leitwerk < 0.65 oder einen Maximalauftrieb-Flugfall cA;Leitwerk > 0.65 handelt. Am Beispiel der oben dargestellten Trefftz-Ebene lässt sich erkennen, dass der maximale lokale Auftriebsbeiwert bei cA;Leitwerk ≈ 0.75 liegt. Der geometrisch notwendige Ruderausschlag beträgt damit ηV;max;geo = 12°. Die Betrachtung aller anderen Flugfälle der Längsbewegung (vgl. Darstellung in der Trefftz-Ebene) zeigt, dass alle anderen Auftriebsanforderungen unter dem Auslegungsfall 01-Lo-PL-GA-VS0-CGF-PM liegen. Somit wird der maximale symmetrische Ruderausschlag zu ηV;max;geo = 12° gesetzt.

Für die Seitenbewegung befinden sich die Auftriebsanforderungen deutlich unterhalb der Nichtlinearität im Auftriebsanstieg (cA;Leitwerk < 0.65), sodass die maximalen Ruderwinkel für den antimetrischen Ruderausschlag am V-Leitwerk nicht korrigiert werden müssen. Aufgrund der Abweichung der numerischen Nachrechnung im Auslegungsfall 54-La CS23.147ed-SFSEI-1.4VS1-CGB-SMSEI wird der Ruderausschlag angehoben auf ζV;max;geo = 15°.

Damit ist das Leitwerk flugmechanisch vollständig ausgelegt und für statische Steuerbarkeit validiert. Die finale Geometrie mit Ruderausschlägen ist in folgender Übersicht zusammengefasst.

Zusammenfassung der finalen Leitwerksgeometrie der FVA-30

Ausblick

Im Bereich der Flugmechanik folgt nun die Berechnung der maximalen Rudermomente, woraus sich die Anforderungen an die Steuerung ergeben. Außerdem steht in Zusammenarbeit mit dem Struktur-Team die genaue Ausgestaltung der V-Leitwerksgeometrie an.