Veröffentlicht am 24.08.2020 von Emil Pluta
Ein aufwendig ausgearbeitetes Hygienekonzept sollte dafür sorgen, dass das Sommertreffen 2020 in Stendal trotz der Corona bedingten Einschränkungen stattfinden konnte. Das mit Einschränkungen verbundene Programm wurde von uns bereitwillig akzeptiert, da die drei Wochen Flugleistungsvermessung, Zachern und Flugerprobung für uns eine sehr wertvolle Zeit sind. Auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) sind wie immer mit Vertretern für die Durchführung und Unterstützung vor Ort. Die Voraussetzungen für lehrreiche Erfahrungen, wie auch neue Ergebnisse bei den Sondermessprojekten oder der Flugleistungsvermessung sind also gesetzt.
Die FVA ist in diesem Jahr mit drei Luftfahrzeugen vertreten. Unsere Remo D-EBGZ, kurz GZ, ist als Schleppflugzeug eingeplant und fungiert gleichzeitig als Träger unseres Prototyps und Sondermessprojekts „WiMi“. Dabei sammelt die inzwischen vierte Entwicklungsstufe unserer Seileinzugsvorrichtung für Schleppflugzeuge – FVA 24d – während des F-Schlepps und dem anschließendem Seileinzug fleißig diverse Daten. Darüber hinaus werden weitere Methoden zur Reduktion des Aufschwingens des Seils beim Einzug durch einen neuartigen 3D-gedruckten Fangkorb untersucht.
Unsere DG-1000T, welche von der FVA für Streckenflug sowie Schulung eingesetzt wird, wird vor allem für die obligatorischen Zacher-Einweisungen genutzt. Zachern ist der altgediente Fachbegriff für das Erfliegen von Flugeigenschaften der Flugzeuge. Wie groß wohl die Rollrate ist oder ob die Trimmbarkeit den gesamten zulässigen Geschwindigkeitsbereich abdeckt sind einige der zu beantwortenden Fragestellungen. Kurzum, beim Zachern werden die Flugeigenschaften quantitativ und qualitativ analysiert.
Als dritte im Bunde ist auch die FVA 29 vor Ort. Wie bereits im letzten Jahr begonnen, soll die Flugerprobung fortgesetzt und weitere Daten zum Betrieb des Systems (Aus-/Einfahr Ablauf, allgemeiner Einsatz) gesammelt werden. Nachdem in diesem Jahr fleißig an der Entwicklung der Ersatz-Antriebsbatterie, auch Übergangsbatterie genannt, gearbeitet wurde, mussten wir im Vorlauf leider feststellen, dass der Einsatz der Antriebsbatterie nicht möglich sein würde. Die finale Verkabelung der Leistungselektronik sowie die Genehmigung durch das LBA waren zeitlich nicht zu stemmen. Dennoch werden die drei Wochen im Bereich der Flugerprobung und Datensammlung sehr hilfreich sein.
Stendal-Borstel (EDOV) stellte sich wie bereits im vergangenen Jahr als gut organisierter und vor allem großflächig sehr geeigneter Standort heraus. Die Gastfreundschaft der Flugplatzbetreiber hilft bei der Umsetzung unserer Forschungsvorhaben gleichermaßen entgegenkommend wie auch bei der Umsetzung der strikten Corona-Schutzmaßnahmen. An dieser Stelle muss man wirklich festhalten, dass EDOV sein gutes Image für die idaflieg aufrechterhalten konnte.
Zur Umsetzung des Corona-Konzepts wurde neben dem Tragen von Mund-Nasen-Schutz bei Unterschreiten der Mindestabstände außerdem eine Gruppeneinteilung der Teilnehmer vorgenommen, die gleichermaßen Akaflieg-Zugehörigkeit und Projektumsetzung bedachte. Separate Dusch-Container sowie die Aufteilung der gemeinsamen Mahlzeiten sind ebenfalls als Maßnahmen zu ergänzen. Die Sorge vor Einschränkungen oder dem Fehlen der typischen „Sommertreffen-Atmosphäre“, sprich mit anderen Akafligerinnen und Akafliegern ins Gespräch zu kommen und sich auszutauschen, im Vorhinein der Veranstaltung waren unbegründet!
Der Flugbetrieb der ersten Woche war geprägt von hohen Temperaturen und teils beeindruckend guter Thermik. So konnte der Großteil der Zacher-Einweisungen bereits nach den ersten Tagen abgewickelt werden und die ersten Zacher-Protokolle im Gespräch mit den DLR-Mitarbeitern der Datenbank hinzugefügt werden. Die morgendliche Flugleistungsvermessung widmet sich in diesem Jahr zunächst einem bekannten zu vermessenden Segelflugzeug: die ASG 29 der Akaflieg Karlsruhe mit Wettbewerbskennzeichen „FN“. Bereits im vergangenen Jahr wurde sie für das Formations-Gleiten mit dem Discus 2c DLR frühmorgendlich in die Luft gebracht, einerseits zur Validierung des Messverfahrens und andererseits um eine Vergleichbarkeit zum vorherigen DLR-Vergleichsflugzeug herzustellen.
In diesem Jahr war ebenfalls die Analyse des Messverfahrens geplant. Es ging um das sogenannte Hufeisen, die unterschiedliche Position zwischen Vergleichsflugzeug und zu vermessendem Segelflugzeug im Formationsflug. Dabei positioniert sich die ASG 29 im Halbkreis um den DLR-Discus herum, sodass die gegenseitige Beeinflussung der Flugzeuge untereinander analysiert und mit modellierten Rechenverfahren verglichen werden kann. Die Ergebnisse waren beeindruckend auf zweierlei Weise. Einerseits stimmen die Flugversuche mit den gerechneten Modellen überein, andererseits ist die Beeinflussung sehr groß. So führte das Hinterherfliegen im Abwindfeld des vorausfliegenden Vergleichsflugzeug zum Absacken der vermessenen ASG 29. Die Messflüge liefern demnach eine Validierung des Messverfahrens wie auch eine erstaunliche Offenlegung aerodynamischer Effekte am Segelflugzeug.
Die FVA 29 konnte nach drei Tagen ebenfalls gen Himmel geschleppt werden. Vorher wurden noch Einstellungen für die zu erfliegenden Systemtests am System vorgenommen. Der Avionikumbau, der während der Wartezeit auf die neue Fluggenehmigung begonnen und während des AD-/AH-Lehrgangs abgeschlossen werden konnte, stattet das Flugzeug nun mit einem PowerFLARM, einem Transponder und neuem E-Vario aus. Das PowerFLARM als Kollisionswarngerät ist dabei mit einer zusätzlichen Empfangsantenne ausgestattet und liefert sogar ein ADS-B-in Signal, wodurch vor größerer Anzahl Luftfahrzeuge gewarnt wird.
Die ersten drei Flüge dienten zur Kalibrierung der neuen Staudruckdüse im Bug des Flugzeugs. Diese wurde als Folge der Flugerprobung des vergangenen Sommertreffens eingerüstet. Bei ausgefahrenem Mast wird die eigentliche Multidüse im Seitenleitwerk so turbulent angeströmt, dass eine Fahrtmesseranzeige mit +/- 20km/h das korrekte Bestimmen der angezeigten Geschwindigkeit unmöglich macht. Die Kalibrierung sollte nun zeigen, ob der nach Technischer Mitteilung des Flugzeugherstellers durchgeführte Umbau, verlässliche Anzeigen auf dem Fahrtmesser generiert. Das E-Vario und der Fahrtmesser wurden untereinander abgeglichen und in unterschiedlicher, wie auch gleicher Verschlauchung mit der Bug- und der Leitwerksstaudruckabnahme kombiniert. Die Ergebnisse fielen positiv aus, die Staudruckabnahme im Bug kann einwandfrei als Ersatz verwendet werden. In der Folge konnten noch Flüge für weitere Aus- und Einfahrtests gemacht werden.
Auch hier wurden im Vergleich zum letztjährigen Sommertreffen Modifikationen am System vorgenommen, unter anderem an den Positionssensoren des Mastes. Die erste Woche konnte erfolgreich beim „Spaßfliegen“ am Sonntag beendet werden.
Die WiMi ist das quasi unsichtbare Sondermessprojekt. Ab Mitte der Woche kam die GZ zum Schleppeinsatz und damit auch die WiMi. Vor dem Sommertreffen konnte der zweite Prototyp mit leichten Modifikationen eingerüstet werden. Nun werden damit bei jedem Schlepp und Seileinzug Daten wie Trommelbelastung, Leistung und Einzugszeit aufgezeichnet. Damit ist unser Projekt WiMi die vermutlich am gründlichsten untersuchte Seileinzugsvorrichtung der Welt! Der neue Fangkorb konnte zum Wochenende ebenfalls bei einem ersten Flugversuch getestet werden. Damit können wir Vergleichswerte zu den „Raketen“ der vergangenen Jahre sammeln, die ebenfalls das Aufschwingen des Schleppseils reduzieren sollten. Vorteil des neuen Fangkorbes ist vor allem die Montierbarkeit kurz hinter dem Schleppflugzeug, weswegen anders als bei vorherigen „Raketen“-Entwürfen das Einklinken nicht mehr gestört wird und die Staudruckabnahme unbeeinflusst bleibt. Per Videoanalyse kann das Aufschwingen des Seils determiniert und die maximalen Winkel bestimmt werden.
Mit diesen Ergebnissen gehen wir nun motiviert in Woche 2 des Sommertreffens. Besonders spannend dürfte unter anderem die Flugleistungsvermessung der frisch eingetroffenen JS3 werden.