Flügellastvergleich mit dem e-Genius II

Veröffentlicht am 24.09.2020 von FVA

Im letzten Beitrag wurde ein erster Lastvergleich zwischen den Flügeln von FVA-30 und e-Genius durchgeführt. Anhand der mit unserem Lastrechner bestimmten Schnittlasten des Flügels konnte nun ein erster Festigkeitsnachweis für sämtliche Flügel-Strukturkomponenten ermittelt werden.

Auslegungsrechner der e-Genius Flügel

Der Festigkeitsnachweis der e-Genius Flügel-Geometrie wurde im Institut für Flugzeugbau (IFB) der Universität Stuttgart mittels der Konstruktionsberechnungs-Software Mathcad erbracht und teilt sich in die drei Hauptsektionen: Flügelstruktur, Flügel-Flügel-Trennstelle und Flügel-Rumpf-Trennstelle auf.

In diesen separat betrachteten Abschnitten werden jeweils auf Basis von definierten Material- und Geometrie-Eigenschaften Strukturmodelle des gesamten e-Genius Flügels erstellt, sämtliche lasttragenden Strukturkomponenten dimensioniert und auf ausreichende Festigkeit geprüft. Dabei wurde die praxistaugliche und im Kleinflugzeugbau übliche Bauweise mit Einzelholm, einer tragenden Sandwichschale und versteifenden Rippen ausgewählt (siehe Abbildungen unten).

Hier wurde eine lastrichtungsabhängige Funktionstrennung der Strukturbauteile vorgenommen: Dabei trägt der aus einem Steg und zwei Gurten bestehende Holm die Kräfte in Längs- und Hochachsenrichtung sowie die Biegemomente um die Längsachse des Flugzeugs. Das Torsionsmoment wird von der Sandwichschale getragen, wohingegen das Biegemoment um die Flugzeughochachse von an der gesamten Nasen- und Endleiste angebrachte Gurten getragen wird. Die Lastübertragung an den Trennstellen von Außen- zu Innenflügel und Innenflügel zu Rumpf werden über lösbare Bolzenverbindung realisiert, wodurch der Flügel bei Bedarf demontiert werden kann. Auf eine genaue Beschreibung der Formeln und mechanischen Berechnung der Festigkeitsnachweise wird an dieser Stelle verzichtet.

In einer zuvor durchgeführten Lastrechnung des IFB wurden für alle nachzuweisenden Manöver- und Flugzeugkonfigurationen sämtliche auf die Struktur wirkenden Kräfte und Momente bestimmt und tabellarisch in mehrere Excel Dateien formatiert. Dieser Datensatz löst für jeden aufgeführten Lastfall die auftretenden Schnittgrößen an mehreren hundert Stützstellen entlang der Halbspannweite auf. Bevor der eigentliche Festigkeitsnachweis durchgeführt wird, werden von dieser Schnittstelle alle Lastfallzustände in das Mathcad-Worksheet importiert. Anschließend wird die statische Festigkeit sämtlicher betrachteten Strukturkomponenten, mit den auftretenden Belastungen verglichen, um die in der Zulassungsvorschrift CS22 vorgeschriebenen Mindestsicherheitsfaktoren der vordefinierten Bauteildimensionen und -dicken nachzuweisen. Dabei werden die meisten Rechnungen mit sämtlichen Lastfällen in einem iterativen Prozess einzeln berechnet und anschließend der Zustand der einzelnen Strukturkomponenten mit den größten Belastungen und somit den niedrigsten Sicherheitsfaktoren ausgegeben. Die Auswertung beschränkt sich dabei auf die Ausgabe der Sicherheitsfaktoren und die Prüfung der nachzuweisenden Minimalsicherheitsfaktoren. Sofern keine lokale, punktuelle Berechnung vorliegt, werden dazu in einfachen grafischen Darstellungen die gesamten Verläufe der minimalen Sicherheitfaktoren entlang der betrachteten Geometrieachse erstellt und ausgegeben.

Anforderungen an die Auslegungsrechnung der FVA-30 Flügel

Das primäre Ziel der Anpassungen am Flügel-Auslegungsrechner des e-Genius ist auf den ersten Flügellastvergleichen zwischen e-Genius und FVA-30 aus dem ersten Teil aufzubauen, um endgültig die Wiederverwendbarkeit der e-Genius-Flügelstruktur zu prüfen und damit das weitere Vorgehen mit der FVA-30-Flügelstruktur bewerten zu können. Zusätzlich wird im weiteren Verlauf beabsichtigt, basierend auf den Ergebnissen der Auslegungsrechnung kleinere Anpassungen der Bauteildicken an kritischen Strukturkomponenten mit zu geringen Sicherheitsfaktoren vorzunehmen. Damit kann dann mit der Fertigung der FVA-30 Flügel begonnen werden, ohne einen kompletten Neuentwurf inklusive der Zulassung erarbeiten zu müssen.

Im Kontext des noch andauernden Entwicklungsprozesses auf dem Weg zur Fertigung der FVA 30-Flügelstrukturen war eine flexiblere und umfangreichere Ausführung der Auslegungsrechnung gefragt (z.B. die Möglichkeit, schnell und einfach Änderungen an definierten Rahmenbedingungen zuzulassen, oder das Hinzufügen einer effektiven Auswertung der Ergebnisse zur verbesserten internen Kommunikation). Dazu wurde der bestehenden Auslegungsrechner aus Stuttgart wiederverwendet und entsprechende Anpassungen vorgenommen, um unseren erhöhten Anforderungen zu genügen. Auf diese Weise kann zum einen die selbst entwickelte Lastrechnung unseres Modells des e-Genius und der FVA-30 auf ihre Plausibilität im Vergleich zu den vom IFB zur Verfügung gestellten Unterlagen geprüft werden. Zum anderen kann eine direkte Gegenüberstellung der Sicherheitsfaktoren von FVA-30 und der bereits nachgewiesenen Festigkeit des e-Genius ermöglicht werden.

Weiterentwicklung des Auslegungsrechners

Um den bereits entwickelten Auslegungsrechner mit unseren Datensätzen kompatibel zu machen und eine zusätzliche Erweiterung des Funktionsumfanges zu analytischen Zwecken zu ermöglichen, waren weitreichende Anpassungen des Programmflusses der ursprünglichen Mathcad-Worksheets nötig. Dabei wurden vorerst an keiner Stelle inhaltlichen Änderungen an der Auslegungsmethodik und Berechnung des statischen Festigkeitsnachweises und definierter Material- und Geometrie-Eigenschaften vorgenommen. Dazu wurden vor allem starre, ausschließlich auf die ursprünglichen Inputdaten bezogene Programmflüsse verallgemeinert, um eine flexible Verarbeitung von sich im Format und Umfang ändernder Datensätze zu ermöglichen. Zum anderen wurden die nach der Berechnung ausgegebenen Informationen erweitert, um später eine differenziertere Analyse der Teilergebnisse zu ermöglichen. Das Einlesen der Schnittlasten in den Auslegungsrechner läuft dabei sehr ähnlich zum Original mit Hilfe von Excel-Tabellen ab, die aus dem FVA-Lastrechner exportiert werden. Im Laufe der weiteren Verarbeitung wird nun zusätzlich auch immer der zugehörige Lastfallschlüssel zur Identifikation mit zugeordnet, um später dimensionierende Lastfälle ausmachen zu können.

Von einem Vergleich zwischen den verschiedenen Datensätzen innerhalb der Mathcad-Worksheets selbst wurde abgesehen, um die Berechnung nicht mit einem dafür benötigten Overhead zu verkomplizieren, sodass die einzelnen Dokumente direkt für die Zulassung nutzbar bleiben. Weiterhin wäre die gewünschte erweiterte grafische Auswertung in Mathcad nur begrenzt und sehr umständlich möglich gewesen. Daher wurde ein externes Programm für die interaktive Auswertung der Ergebnisse erstellt. Dazu werden in den Mathcad-Worksheets die von uns erweiterten Zwischenergebnisse stattdessen in entsprechenden CSV-Dateien verpackt und nach Abschluss der Berechnung gesammelt für eine extern umgesetzte Auswertung ausgegeben.

Zur Auswertung und grafischen Darstellung der exportierten Ergebnisse wurde von uns eine entsprechende Matlab Applikation entwickelt, die eine zentralisierte und übersichtliche Analyse aller Teilergebnisse und vor allem einen direkten interaktiven Vergleich zwischen den Ergebnissen verschiedener Datensätze ermöglicht. Die folgende Abbildung zeigt oben den Aufbau des Flügel-Auslegungsrechners aus Stuttgart sowie unten im Bild die von uns durchgeführten Anpassungen und Erweiterungen.

Aufbau und Ablauf des angepassten Auslegungsrechners

Auswertungs-Applikation und Vergleich der Sicherheitsfaktoren

Die entwickelte Matlab Applikation importiert im ersten Schritt die aus den Mathcad-Worksheets exportierten Ergebnisse und interpretiert diese anschließend, um sie für den User gut verständlich in interaktiver grafischer Form zu präsentieren. Zur Analyse stehen dem User dabei mehrere Darstellungen zur Verfügung, die einen Vergleich der Ergebnisse visualisieren.

Nach der Auswahl der zu untersuchenden Strukturkomponente (z.B. des Flügel-Holmsteges) lassen sich alle geladenen Datensätze in einem einzigen Plot direkt vergleichen, um Unterschiede in den Sicherheitsverläufen der verschiedenen Flugzeugkonfigurationen zu analysieren. Dabei kann die Auswahl der abgebildeten Datensätze beliebig reduziert werden und es kann für alle berechneten Datenpunkte individuell ein detailliertes Infopanel angezeigt werden, welches unter anderem den an dieser Stützstellposition dimensionierenden Lastfall erläutert.

Beispielhaft sind dazu in folgender Abbildung die Verläufe der Sicherheitsfaktoren des Holm-Steges von FVA-30 und e-Genius dargestellt. Für den e-Genius wurde zum einen der Festigkeitsnachweis mit der vom IFB in Stuttgart bestimmten Lastrechnung und zum anderen mit einer von uns erstellten Lastrechnung durchgeführt. Somit lässt sich einerseits unsere Lastrechnung mit der Lastrechnung des IFB vergleichen (Vergleich beider e-Genius Verläufe) und andererseits die beiden mit unserer Lastrechnung berechneten Verläufe von FVA-30 zu e-Genius vergleichen. Wie in der Abbildung zu erkennen, sind die Sicherheitsfaktoren für den Holm-Steg in allen Fällen über dem Mindestsicherheitsfaktor von 1,5. Eine Verstärkung des Holm-Stegs der FVA-30 ist somit nicht erforderlich.

Vergleich zwischen den Sicherheitsverläufen ausgewählter Datensätze

Daneben lassen sich zusätzliche für eine detailliertere Auswertung spezifische Differenzen zwischen zwei Flugzeugkonfigurationen auswählen und grafisch dargestellen. Dadurch lassen sich die quantitativen Unterschiede leicht verdeutlichen und differenzierte Schlussfolgerungen ziehen. Beispielhaft ist dazu in folgender Abbildung die Differenz zwischen den Sicherheitsverläufen der FVA-30 und des e-Genius unserer Lastrechnung dargestellt. Dabei ist der plötzliche Wechsel vom Positiven (Sicherheit der FVA-30 > e-Genius) ins Negative (Sicherheit der FVA-30 < e-Genius) bei ca. 2 m auffällig. Dies lässt sich auf die unterschiedliche Massenverteilung der beiden Flugzeuge über die Halbspannweite infolge des Wingpods zurückführen.

Differenz zwischen FVA30 und e-Genius Sicherheitsverlauf

Ausblick

Mittels des angepassten Flügel-Auslegungsrechners und der erstellten Auswertungs- Applikation können nun kritische Sicherheitsfaktoren und kritische Lastfälle für sämtliche Strukturkomponenten berechnet und mit den vorgeschriebenen Mindestsicherheitsfaktoren verglichen werden. Damit kann nun eine Prüfung und Bewertung der Strukturkomponenten durchgeführt werden und kritische Bereiche identifiziert werden. Bei nicht ausreichend hohen Sicherheitsfaktoren können dann im Mathcad Auslegungsrechner gezielt Verstärkungsmaßnahmen durchgeführt werden, indem Bauteildimensionen, wie z.B. die Wandstärke, lokal angepasst werden. Zusammen mit dem Lastrechner besteht damit nun eine automatisierte Toolkette vom Modell-Input bis zur ausgelegten Flügelstruktur. In diese Toolkette werden nun auch die Auslegungstools des Rumpfes und des Leitwerks integriert. Bei ausreichend hohen Sicherheitsfaktoren von sämtlichen Strukturkomponenten kann im Anschluss mit der Fertigung der Flügel begonnen werden. Dazu müssen Laminat Belegungspläne für alle Komponenten erstellt, Fertigungsmaterialien ausgewählt und der konkrete Fertigungsablauf geplant werden.